Die Herstellung eines frühmittelalterlichen Buches
Das sogenannte „Bamberger Schreiberbild“ (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Patr.5, fol.1v) aus der Mitte des 12. Jahrhunderts zeigt die über Jahrhunderte hinweg unveränderten Arbeitsschritte der Buchherstellung
- Konzept/Notizen auf Wachstafeln
- Herstellung des Pergaments
- Zuschneiden und liniieren der Blätter
- Anspitzen der Schreibfeder
- Das Schreiben
- Buchmalerei und Schmuck (die Miniatur selbst zeigt die Verehrung des Erzengels Michael, dem das Buch als Opfergabe dargebracht wird)
- Herstellung der Buchdeckel (i.d.R. Holz)
- Anfertigen der Buchbeschläge (als Zierde und Schutz)
- Der Codex wird gebunden
- Der fertige Codex
- Das fertige Buch im Unterricht
Das übliche Erscheinungsbild des frühmittelalterlichen Buches ist der Codex mit Blättern (Folia) zwischen zwei Deckeln, was im Grunde bereits unserem modernen Buch entspricht. Schon im Verlauf der Spätantike verdrängte diese neue Form die bis dahin übliche Papyrusschriftrolle als Buchmedium im Abendland. In einem Codex ließen sich Texte leichter sammeln und organisieren als in Rollen. Erst in Codexform konnte man vollständige „Werkausgaben“ von Schriftstellern, umfassende Rechtssammlungen wie den Codex Justinianus oder Vollbibeln (Pandekten) praktikabel realisieren. Der größte Vorteil der neuen Form lag in der Benutzung: Einen Codex konnte der Leser an einer beliebigen Stelle aufschlagen und direkt zwischen einzelnen Einträgen „hin und her blättern“. Im Gegensatz dazu konnte eine Schriftrolle nur „am Stück“ gelesen werden. Man hatte nun also bei Bedarf alle relevanten Texte zu einer Sache in einem einzelnen Medium rasch zur Hand.
Unabhängig von diesem Wandel der Form kam es in der Spätantike auch zu einem Medienwandel des Beschreibstoffes. Zunächst bedingt durch einen Mangel an Papyrus, kam Pergament als neuer Beschreibstoff in Gebrauch. Bald erkannte man in Europa die Vorteile der aufbereiteten Tierhaut. Ihre gute Verfügbarkeit und Beständigkeit machten Pergament bis zum Aufkommen des Papiers im Spätmittelalter vom 8. bis zum 15. Jahrhundert zu dem Trägermedium für Schrift schlechthin. Aussagen über den Gebrauch von Papyrus sind schwieriger, da sich die aus dem Mark der Papyrusstaude hergestellten Blätter im europäischen Klima nur bedingt erhalten. Konservative Kanzleien nutzten Papyrus nachweislich bis ins Hochmittelalter hinein für Urkunden. Für Codices wurde Papyrus ohnehin nur selten gebraucht (etwa St.Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 226), da Papyrusblätter aufgrund ihrer Struktur nur schlecht beidseitig beschrieben werden konnten.
Gute Verfügbarkeit und hohe Haltbarkeit rechtfertigen den hohen Materialaufwand der Pergamentherstellung (eine einzige Vollbibel benötigte 420-450 Blätter). Pergament konnte dezentral und autark vor Ort hergestellt werden. Die Buchproduktion selbst war arbeitsteilig organisiert und begann mit der Herstellung des Beschreibstoffs. Dazu wurden zunächst die Häute vorbereitet. In Frage kamen Schaf, Ziege und Kalb. Fell und Fleischreste wurden mit Laugen und Werkzeugen entfernt, die Haut anschließend auf einem Rahmen in Form gezogen, nochmals geglättet und mit Bimsstein aufgeraut. Aus diesem großen Pergament wurden nun Bögen geschnitten. Stücke mit Fehlern oder Löchern wurden dabei für weniger prachtvolle Bücher beiseitegelegt. Selbst einzelne Streifen oder die Abschnitte an den Beinansätzen wurden noch für kürzere Urkunden, Briefe oder Echtheitszertifikate von Reliquien (Authentiken) verwendet. Aufgrund seiner aufwändige Herstellung betrachtete man Pergament als so wertvoll, dass man mitunter ältere Bücher abschabte, um die Blätter erneut beschriften zu können (Palimpsest).
Auch am Schreibprozess waren verschiedene Personen beteiligt. Mehrere Schreiber kopierten zur gleichen Zeit unterschiedliche Teile des Vorbildtextes. Dabei war jedem Schreiber ein „Heft“ aus einzelnen Doppelseiten zugewiesen (Lage), die dann am Schluss zu einem Codex zusammengefügt wurden. Vor dem eigentlichen Schreibakt wurden zunächst mit Lineal und stumpfem Griffel Zeilen in das Pergament geritzt, sodass ein einheitliches Schriftfeld vorgegeben war. Das Schreiben selbst geschah mit Feder und Tinte. Zur Gliederung des Textes nutzte ein gut funktionierendes Scriptorium (z.B. St.Martin in Tours) unterschiedliche Schriftregister und verschiedenfarbige Tinten (Haupt- und Auszeichnungsschrift). Ziel waren Eindeutig- und Einheitlichkeit des Geschriebenen. Zuletzt wurde der Schmuck aufgebracht. Auffällige Auszeichnungszeilen, prachtvolle Initialen (vergrößerte und geschmückte Buchstaben) und szenische Darstellungen des Beschriebenen vervollständigten das mittelalterliche Buch. Nach einer sorgfältigen Kontrolle durch den Scriptoriumsleiter wurden die Lagen schließlich zwischen zwei Buchdeckel gebunden. Der Codex war fertig.
Literatur:
B.Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, Berlin 42009, S.21-69.
H.Foerster/T.Frenz, Abriß der lateinischen Paläographie, Stuttgart 32004, S.20-68