Schreibanlässe
Decem libros historiarum, septem miraculorum, unum de vita patrum scripsi; in psalterii tractatu librum unum commentatus sum; de cursibus etiam ecclesiasticis unum librum condidi.
Ich schrieb zehn Bücher Geschichten, sieben Bücher über Wunder und ein Buch über das Leben der Väter. Ich schrieb ein Buch zur Erläuterung des Psalters und verfasste ein Buch zu den Gottesdienstzeiten.
- Gregor v. Tours, Historiarum libri decem, X,31 (Krusch, B. (Ed.): MGH Scriptores rerum Merovingicarum I,1, Hannover 21951, S.535f.)
Die Anlässe zu Schreiben waren im Frühmittelalter so vielfältig wie heute. Grundsätzlich schrieb man, um Informationen zu bewahren oder zu verbreiten. Das Christentum hatte als Buchreligion einen niemals endenden Bedarf an Kopien der heiligen Texte. Dabei wurden nicht nur Vollbibeln produziert, sondern vor allem spezialisierte Textsammlungen. Ein Evangeliar enthielt nur den Text der Evangelien, ein Psalterium nur den Psalter. Für den Gottesdienst wurden ebenfalls unterschiedliche Textzusammenstellungen benötigt. Ein Evangelistar beispielsweise enthielt nur Evangelienauszüge in der Reihenfolge der Lesungen im Kirchenjahr. Heiligenviten und Märtyrerakten dienten zur Erbauung und lieferten Material für die Predigt. In der Rechtspflege waren ebenfalls Bücher vonnöten. Die unterschiedlichen Volksrechte der einzelnen Stammesverbände und das Recht der romanischen Bevölkerungsgruppen wurden schriftlich erfasst, um eine gewisse Rechtsicherheit zu schaffen. Gleiches galt für Konzils- und Synodalbeschlüsse. Auch Wissenschaft war ohne die notwendige Literatur nicht denkbar. Wer Cassiodor, Augustinus und Hieronymus studieren wollte, musste die Texte abschreiben lassen. Dichtung und Historiographie bilden schließlich die Gruppe der „schönen Literatur“ im Frühmittelalter. Die Texte sollten erbauen, belehren und unterhalten. Im Rahmen eines eher technischen Schrifttums wurde darüber hinaus auch anlassbezogen Material gesammelt: Handbücher für Missionsreisen, Textsammlungen für den Unterricht, Zusammenstellungen von Rechtstexten, Musterbrief- und Formelsammlungen.
Neben diesem Traditionsschrifttum, das auf Bewahrung und Fortdauer des Geschriebenen angelegt war, gab es ein ausgeprägtes Alltagsschrifttum. Urkunden, vom königlichen Privileg bis zur privaten Schenkung, machen dabei einen Großteil des überlieferten Materials aus. Daneben müssen wir aber auch von einer reichhaltigen Alltagskorrespondenz ausgehen, die jedoch nur vereinzelt in Briefsammlungen auf uns gekommen ist. Dieses Alltagsschrifttum unterschied sich in seiner Ausführung diametral von der Buchproduktion. Wichtig war der übermittelte Inhalt, nicht die Form. Statt kalligraphischer Buchminuskel schrieb man Kursive; Trägermedium waren vor allem Wachstafeln. Eine Ausnahme bildeten Urkunden, bei denen ebenfalls eine längere Aufbewahrung intendiert war. Hier fand wie bei der Buchproduktion Pergament (und in der Spätantike auch Papyrus) Verwendung.