Scriptorium
Se pareba boves / alba pratalia araba / albo versorio teneba / negro semen seminaba / Gratias tibi agimus omnipotens sempiterne Deus
«Er bereitete die Ochsen vor, er pflügte die weißen Felder, er hielt den weißen Pflug, er säte schwarzen Samen. Wir danken Dir, allmächtiger, ewiger Gott»
- Verona, Biblioteca Capitolare, LXXXIX, fol.3r
Der Ort der frühmittelalterlichen Buchproduktion ist das Scriptorium, die „Schreibstube“. Als Teil der Klosterschule gehörte es fest zum mittelalterlichen Klosterleben. Speziell geschulte Mönche und Nonnen fertigten in einem aufwendigen Prozess kostbare Einzelstücke. Die Bandbreite der Schreibschulen reichte von prachtvoll bebilderten Vollbibeln bis zu kleinformatigen Handbüchern für den täglichen Gebrauch. Als Form hatte schon in der Spätantike der Codex mit Blättern (Folia) zwischen zwei Deckeln die Rolle (Rotulus) als Buchmedium abgelöst. Man schrieb auf Pergament oder seltener auf Papyrus (St.Gallen, StiBi, Cod.226). Der Gebrauch von Pergament war zunächst einem Mangel an Papyrus geschuldet (die päpstliche Kanzlei schrieb bis ins 11. Jahrhundert hinein bevorzugt auf Papyrus), doch gute Verfügbarkeit und Beständigkeit des neuen Beschreibstoffs machten die abgelöste Tierhaut bis zum Aufkommen des Papiers im Spätmittelalter zu dem Trägermedium für Schrift schlechthin.
Die Buchproduktion war arbeitsteilig organisiert. Zunächst wurden die Häute vorbereitet (Se pareba boves). Fell und Fleischreste wurden entfernt, die Haut anschließend auf einem Rahmen in Form gezogen, nochmals geglättet und mit dem Bimsstein aufgeraut. Aus diesem großen Pergament wurden nun Bögen geschnitten. Stücke mit Fehlern oder Löchern wurden dabei nicht verworfen, sondern für weniger prachtvolle Bücher beiseitegelegt. Selbst einzelne Streifen oder die Abschnitte an den Beinansätzen wurden noch für kürzere Urkunden, Briefe oder Echtheitszertifikate von Reliquien (Authentiken) verwendet. Vor dem eigentlichen Schreibakt wurden die Zeilen mit Lineal und stumpfem Griffel in das Pergament geritzt (alba pratalia araba), sodass ein einheitliches Schriftfeld vorgegeben war. Der Schreibprozess geschah wieder arbeitsteilig. Mehrere Schreiber kopierten zur gleichen Zeit unterschiedliche Teile des Vorbildtextes. Jedem Schreiber war ein „Heft“ aus einzelnen Doppelseiten zugewiesen (Lage), die dann am Schluss zu einem Codex zusammengefügt wurden. Das Schreiben selbst geschah mit Feder (albo versorio teneba) und Tinte (negro semen seminaba). Dabei fanden zur Gliederung des Textes häufig unterschiedliche Schriftregister und verschiedenfarbige Tinten Verwendung (Haupt- und Auszeichnungsschrift). Ziel waren Eindeutig- und Einheitlichkeit des Geschriebenen. Zuletzt wurde der Schmuck aufgebracht. Auffällige Auszeichnungszeilen, prachtvolle Initialen (vergrößerte und geschmückte Buchstaben) und szenische Darstellungen des Beschriebenen vervollständigten das mittelalterliche Buch. Nach einer sorgfältigen Kontrolle durch den Scriptoriumsleiter wurden die Lagen schließlich zwischen zwei Buchdeckel gebunden. Der Codex war fertig.