Bourges C 17 - Wie man Äbtissin an Stelle der Äbtissin wird
30. Januar 2024
Ein schönes Beispiel für frühmittelalterliche Karrierewege findet sich in der Formelsammlung in Leiden BPL 114, ediert als Bourges C 17 (ed. Zeumer Form. Bit. 18). In dieser Briefformel wendet sich eine Frau, wohl eine Nonne, an die Schwester des Königs, die zumindest ebenfalls Nonne, vermutlich aber eine Äbtissin ist (angesprochen wird sie als dignissima sponsa Dei, als „allerwürdigste Braut Gottes“). Aus dem 8. Jahrhundert ist lediglich eine karolingische Prinzessin bekannt, die Äbtissin wurde. Entsprechend dürfte es sich bei der Adressatin um Gisela († 810) handeln, die seit 788 Äbtissin von Chelles war, und beim angesprochenen König um ihren Bruder Karl den Großen († 814). Anlass des Schreibens ist der Tod der (namentlich nicht bekannten) Äbtissin von Sainte-Croix in Poitiers, oder präziser, die damit verbundene Regelung ihrer Nachfolge. Mochte etwa nach den Bestimmungen der Regula Benedicti die Wahl der Nachfolgerin bei den Nonnen des Klosters liegen, so sah die Praxis doch, wie der Brief uns verrät, anders aus. Hier ist von einer Vereinbarung die Rede, die die Verfasserin mit dem König und seiner Schwester getroffen hatte. Deutlich wird, dass Gisela und Karl bereits im Vorfeld die Verfasserin zur Nachfolgerin ausgewählt hatten, diese allerdings einige Bedingungen erfüllen musste. Ganz offen ist von Gold und Silber in vereinbarter Menge für die Adressatin die Rede sowie von Geschenken, die dem König termingerecht und in verabredetem Umfang übersandt worden seien. Mehr noch, um die Gunst der Adressatin zu erhalten, scheint die Absenderin auch noch für diese einige Nachforschungen über den König angestellt zu haben. Worum es bei dieser Angelegenheit genau ging bleibt leider unklar; allzu nebulös ist die Aussage, dass „die königliche Ehre nach langer Zeit altere“ (nisi honorem regalem post longo tempus adsenerae significat). Deutlich wird aber die Bedeutung der Adressatin und ihres Einflusses bei ihrem königlichen Bruder für das Bestreben der Verfasserin, Äbtissin an Stelle der Äbtissin zu werden.
Leseempfehlung:
Zur Kommunikation mit dem Herrscher:
Scior, Volker: Das offene Ohr des Herrschers. Vorstellungen über den Zugang zum König in der Karolingerzeit, in: Steffen Patzold, Anja Rathmann-Lutz und Volker Scior (Hgg.): Geschichtsvorstellungen: Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag, Köln 2012, S. 299-325.
Zur Bedeutung von Kontakten am Hof:
Depreux, Philippe: Bitte und Fürbitte am karolingischen Hof. Zugleich ein Beitrag zur politischen Bedeutung der Ambasciatoren- und Impetratorenvermerke (Mitte 8. bis Mitte 9. Jahrhundert), in: Archiv für Diplomatik 58 (2012), S. 57-102.
Zur Simonie:
Timothy Reuter: Gifts and Simony, in: Esther Cohen und Mayke de Jong (Hgg.): Medieval Transformations. Texts, Power and Gifts in Context, Leiden 2001, S. 157-168.