Bourges C 5: Über die Heimkehr von Kriegsgefangenen
9. April 2024
In der aus Bourges stammenden Formelsammlung der Handschrift Leiden BPL 114 findet sich eine Briefformel, die bemerkenswerte Einblicke in die Integration der civitas in die fränkische Herrschaft gibt. In Bourges C 5 (ed. Zeumer Form. Bit. 11) wendet sich der Absender mit der Bitte an den König, von Alemannen und Franken gemachte Kriegsgefangene in ihre Heimat zurückkehren zu lassen. Das Schreiben ist gemäß seiner Natur als Formel anonymisiert und nicht datiert, doch lässt es sich anhand einiger Anhaltspunkte gut einordnen. Beim Adressaten des Schreibens handelt es sich um Karlmann (768-771), beim Absender wohl um Erzbischof Hermenarius von Bourges (belegt für 769 als Teilnehmer des Konzils von Rom). Bei den Kriegsgefangenen handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um hochrangige Bürger von Bourges, die 762 von Karlmanns Vater Pippin dem Jüngeren (751-768) bei der Eroberung der Stadt als Geiseln mitgenommen worden waren. Konkreter Anlass für das Schreiben war die nach dem Tod Pippins erfolgte Thronbesteigung Karlmanns, der, dem Wunsch seines Vaters gemäß, neben weiteren Teilen des Reiches auch die Herrschaft über den östlichen Teil Aquitaniens übernommen hatte. Herrschaftswechsel waren im frühen Mittelalter mit der Bekräftigung bestehender und dem Aufbau neuer Beziehungen zwischen König und Großen verbunden, dessen Herrschaft anzuerkennen, sich seiner Gunst zu versichern und für das Versprechen der eigenen Treue Gegenleistungen, wie etwa die Bestätigung alter Privilegien, zu erhalten. In dieses Muster passt auch das vorliegende Schreiben, mit dem die Herrschaft des neuen Königs begrüßt wird, verknüpft mit der Bitte um die Heimkehr der Gefangenen. Zugleich gibt das Schreiben auch Zeugnis über die Wege zum Ohr des Königs, ist doch auch die Rede von einem nicht weiter bestimmbaren Bischof, der dem König denselben Wunsch bereits mündlich vorgetragen hatte und offenbar die Kontaktperson des Absenders am Hofe darstellte. Ob dem Wunsch stattgegeben wurde ist leider nicht bekannt, doch zumindest wahrscheinlich. Derartige Bitten wurden in der Regel über persönliche Kontakte – wie hier der Bischof – vorbereitet um zu klären, ob und unter welchen Umständen sie gewährt werden würden. Hatten sich die Bürger von Bourges in den seit der Eroberung der Stadt als treu erwiesen, so dürfte der Freilassung nichts im Wege gestanden haben.
Karte von Auguste Longnon 1907: Das Frankenreich, Teilreiche Karls des Großen und Karlmanns, 768-771
Weiterführende Literatur:
Zur Kriegsgefangenschaft:
Jankrift, Kay Peter: Aus der Heimat in die Fremde. Geiseln und Kriegsgefangene im frühen Mittelalter, in: Hardy Eidam und Gudrun Noll (Hgg.), Radegunde - ein Frauenschicksal zwischen Mord und Askese, Erfurt 2006, S. 50–55.
Zu Kontakten nach der Herrschaftsübernahme:
Depreux, Philippe: La crise peut-elle être appréciée à l'aune de la production documentaire? Quelques observations sur le gouvernement de Louis le Pieux d'après les diplômes, in: Ders. und Stefan Esders (Hgg.), La productivité d'une crise: le règne de Louis le Pieux (814-840) et la transformation de l'Empire carolingien = Produktivität einer Krise: die Regierungszeit Ludwigs des Frommen (814-840) und die Transformation des karolingischen Imperiums, Ostfildern 2018, S. 65-86.
Zur Kommunikation mit dem Herrscher:
Scior, Volker: Das offene Ohr des Herrschers. Vorstellungen über den Zugang zum König in der Karolingerzeit, in: Steffen Patzold, Anja Rathmann-Lutz und Volker Scior (Hgg.): Geschichtsvorstellungen: Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag, Köln 2012, S. 299-325.
Zur Vorbereitung von Bitten:
Althoff, Gerd: Demonstration und Inszenierung: Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit, in: Ders.: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Friede und Fehde, Darmstadt 1996, S. 229-257.