Zur Datierung der Formelbücher des Marculf
24. Mai 2022
Mit der Edition der Formelbücher des Marculf durch Karl Zeumer und seinen damit einhergehenden Publikationen zu ihrer Datierung entbrannte eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Forschungsdebatte, die mit den Ausführungen Alf Uddholms im Wesentlichen ihren vorläufigen Endpunkt fand. Nicht alle im Laufe der Zeit vorgebrachten Argumente überzeugen, doch bleiben einige Eckpunkte, die für einen Neuansatz zur Datierung herangezogen werden können[1]. Der unbestreitbare Terminus ante quem ergibt sich aus der in den 720er Jahren einsetzenden Marculf-Rezeption[2]. Schwieriger ist der Terminus post quem zu bestimmen. Maßgeblich für diesen ist Marculf I,40, eine königliche Anordnung an einen Grafen. Nach dieser haben die Einwohner seines pagus in Gegenwart eines missus dem als König in einem Teilreich eingesetzten Königssohn Treue und leudesamio zu schwören. Aus der merowingischen Geschichte sind lediglich drei Fälle von derartigen Einsetzungen von Söhnen als Könige in Teilreichen bekannt: 589 Theudert II. durch Childebert II. in Soissons und Meaux, 623 Dagobert I. durch Chlothar II. in Austrasien und 633 Sigibert III. durch Dagobert I, ebenfalls in Austrasien. Als frühestmöglicher Zeitpunkt für die Zusammenstellung der Formelbücher ergibt sich damit das Jahr 589.
Über diese Zeitpunkte hinaus lässt sich eine weitere Annäherung nur mittels Thesenbildung erreichen. Ausgangspunkt sind wiederum die Marculf I,40 zugrundeliegenden Ereignisse. Im Rückblick erweisen sich die drei Einsetzungen von Königssöhnen in Teilreichen als – für die merowingische Zeit – isolierte Sonderfälle. Nur aus geringerem zeitlichem Abstand konnte der Eindruck entstehen, dass es sich dabei um eine sich zur Norm entwickelnde Praxis handeln konnte und eine auf sie Bezug nehmende Formel damit würdig war, in eine auf möglichst breite Anwendbarkeit ausgelegte Sammlung aufgenommen zu werden. War Marculf um 600 herum geboren, erlebte er zumindest die beiden jüngeren Einsetzungen von Königssöhnen persönlich und durfte spätestens 633 ein eigenes fachliches Interesse besessen haben, die mit dieser Einsetzung verbundene Eidesformel in seinen Fundus aufzunehmen. Kombiniert mit der im Prolog geäußerten Selbstaussage Marculfs, er sei bei der Zusammenstellung der Formelbücher 70 Jahre alt gewesen, ergibt sich damit ein bis in die 670er Jahre hineinreichendes Zeitfenster. Diese Annahme rückt die anzunehmende Entstehungszeit der Formelbücher in die zeitliche Nähe Bischof Landerichs von Paris (650-656), der sich zwar nicht mit Sicherheit mit dem im Prolog genannten Auftraggeber der Formelbücher gleichen Namens identifizieren lässt, für den damit aber immerhin doch sehr viel spricht. Möchte man also annehmen, dass Marculf die Formel I,40 aus unmittelbar zeitnahen, praktischen Gründen in die Sammlung aufnahm, so lässt sich eine Entstehung der Formelbücher um die 650er Jahre vermuten.
[1] Eine detaillierte Diskussion findet sich in der Einleitung zur Neuedition der Formelbücher des Marculf (in Vorbereitung).
[2] Vgl. zur Rezeption etwa Heinz Zatschek, Die Benutzung der Formulae Marculfi und anderer Formularsammlungen in den Privaturkunden des 8. bis 10. Jahrhunderts, in: MIÖG 42 (1927), S. 165-267, hier S. 202f. und Ingrid Heidrich, Titulatur und Urkunden der arnulfingischen Hausmeier, in: AfD 11/12 (1965), S. 71-279, hier S. 176 und 191-193.
Von Horst Lößlein